Martin Fischer
Softwareentwicklung

31.07.2023 „Wie ein maßgeschneiderter Anzug“: Was die Folierung des Audi Q6 e-tron Prototypen einzigartig macht


Jedes Design ein Unikat: Seit der Vorstellung des Audi e-tron 2018 statten die Vier Ringe Prototypen und Unikate mit individuellen Folierungen aus, dem sogenannten Livery Design ‒ zuletzt den S1 Hoonitron und das Showcar zur Formel 1. Mehr als 20 Fahrzeuge haben die Vier Ringe mit diesem besonderen Exterieur bereits präsentiert, alle gestaltet durch Marco dos Santos, der bei Audi das Design Branding verantwortet. Seine neueste Vision ziert nun den Prototypen des Audi Q6 e-tron
. Welche Philosophie hinter dem expressiven Design steckt, was Herrenanzüge damit zu tun haben und wann auch ein Designer mal nervös wird, erklärt Marco dos Santos an seinem jüngsten Werk.

„Die Formensprache von Audi geht mit dem Design des Q6 e-tron den nächsten Schritt, und das wollten wir auch in der Folierung verdeutlichen“, sagt dos Santos. „Die Architektur und der Charakter eines Fahrzeugs sind immer einzigartig und daher auch jedes einzelne Foliendesign. Am Anfang steht immer die Entscheidung, welche Elemente am Fahrzeug man besonders hervorheben und betonen will.“ Zwar knüpfe man bei einem neuen Projekt auch an bisherige Designelemente an ‒ wie zum Beispiel an die auch beim Audi Q6 e-tron verwendete Farbe Neonrot, weithin bekannt von der einprägsamen Folierung des Audi e-tron von 2018 ‒, doch jedes neue Modell schlage auch ein neues Kapitel auf. „Technologie und Design sind bei Audi untrennbar verbunden, sie bilden eine Einheit. Da unsere Technologien immer leistungsfähiger und präziser werden, wird das auch in unserer Gestaltung, der Wahl der Materialien und der Erzählweise der Geschichten sichtbar“, erklärt dos Santos.

Laut dos Santos übersetzt die Folierung am Fahrzeug technische Elemente in eine einprägsame grafische Sprache. „Im Grunde wollen wir also mit der Folierung einen Dialog starten.“ Das Besondere an Formensprache: Dieser Dialog kann weltweit geführt werden. „Bestimmte Dinge werden in verschiedenen Ländern anders aufgefasst, aber am Ende funktioniert Design überall ‒ oder nirgends.“

Formen fügen sich fließend ineinander und betonen Schlüsselelemente

Beim Audi Q6 e-tron weisen großflächige Grafiken das Fahrzeug auf den ersten Blick als Prototypen aus, die sich für dos Santos „immer in einem ganz besonderen Spannungsfeld“ befinden. „Bei einem Prototypen schaffen wir durch die Folierung Möglichkeiten, über das Design zu sprechen, das aber eigentlich noch größtenteils geheim ist. Wir können uns auf der einen Seite noch vage halten, bestimmte Dinge hingegen bereits bewusst konkretisieren.“

Scharf geschnitten und kontrastreich: Großflächige radiale Grafiken in der Farbe Gloss Fierce Fuchsia treffen auf detailreiche geometrische Netz- und Streifengrafiken in Silber. Die Formen fügen sich fließend ineinander und betonen dabei die Schlüsselelemente der Fahrzeugarchitektur. Der untere Schweller ist vom Body weiß abgesetzt und akzentuiert hiermit die Audi e-tron Philosophie, die ein emissionsfreies Fahren ins Zentrum des Designs stellt. Auch die fünfarmigen dynamischen Felgen und der für Audi typische Singleframe sind komplett in Weiß gehalten. Neonrote Einleger, die sogenannten e-tron Powerstripes, betonen den oberen Bereich des Schwellers. Denn hier am Sitz der Batterie schlägt das Herz des vollelektrifizierten Fahrzeugs.

Eine weitere filigrane neonrote Linie umläuft das Heck und setzt die quattro Blister in Szene – jene Konturen der Karosserie, auf denen sich die flach geneigten D-Säulen stützen. Die Blister sind eine Reminiszenz an den Audi Ur-quattro und ein Kern der Audi Design-DNA. „Technologie sichtbar machen“ nennt sich dieses zentrale Gestaltungsprinzip bei den Vier Ringen. Den oberen Rand des Bodys durchzieht ein engmaschiges Gitternetz, das dem Fahrzeug sein technoides Profil gibt. Das Greenhouse ist – bis auf die D-Säulen – komplett in Schwarz vom Body abgesetzt.


„Die Folierung muss 360 Grad umlaufend funktionieren“
Der Designprozess der Folierung läuft bei jedem Fahrzeug ähnlich ab. Anhand detaillierter Renderings der Exterieur-Designer_innen entscheidet man gemeinsam, welche Elemente das Modell ausmachen und auf welche Stellen der Karosserie ein besonderer Fokus gelenkt werden soll. Es gilt, die Vision des Designs und den Charakter des Modells in abstrakter Weise aufzugreifen und mit der Folierung visuell zu unterstützen. „Die Ursprungsidee muss dabei immer der Leitfaden bleiben.“

Dann startet der eigentliche Gestaltungsprozess von dos Santos. Mit vielen händischen Skizzen auf Papier – „Ich brauche einfach die Verbindung von Kopf, Stift und Hand“ – gelangt die Vision mittels einer Bild- und Grafiksoftware schließlich ans Fahrzeug. Das Auto wird dabei komplett foliert, was aufgrund der hohen Akribie und Präzision mehrere Tage Zeit in Anspruch nimmt. „Das ist dann der Moment der Wahrheit“, führt dos Santos aus, denn „vormals geometrisch gerade Linien wirken auf der Karosserie mit ihren vielen Ecken und Kanten mitnichten gerade.“ In diesem Stadium der Arbeit werde „viel verworfen, neu gedacht und nochmals neu entworfen.“ Dabei muss dos Santos auch immer bedenken, wie Menschen später sein Design betrachten werden. „Man weiß ja nie, aus welchem Winkel eine Person den Audi Q6 e-tron zum ersten Mal sieht. Man kann nicht wie bei einem Film mit der Kamera vorgeben, dass zunächst der Teil, dann dieser und dann jener im Fokus ist. Das Fahrzeug ist eine Skulptur. Die Folierung muss 360 Grad umlaufend funktionieren, immer und zu jeder Zeit.“

Wenn am Ende das Livery Design perfekt auf die Geometrien des Fahrzeugs abgestimmt ist, hat dos Santos für das Modell eine Art Maßanzug geschaffen. „Es gibt ihn auf der Welt nur einmal, nur für exakt dieses Modell.

Über Marco dos Santos: Marco dos Santos wurde 1987 als Sohn einer deutschen Mutter und eines brasilianischen Vaters in München geboren. Nach dem Abitur studierte er interdisziplinäres Design in seiner Heimatstadt. Er arbeitet seit 2014 im Design Branding von Audi mit den Kernthemen e-tron , künstliche Intelligenz und Motorsport. Jenseits der automotiven Welt ist er als freier Designer tätig und entwirft Logos, Produkte und Plakate sowie Albumcover für Gold- und Platinkünstler aus der Musikindustrie.