Martin Fischer
Softwareentwicklung

15.07.2021 Innenwelten – die neue Architektur der Mobilität

Philipp Römers, Leiter Exterieur Design; Marc Lichte, Leiter Design; Norbert Weber, Leiter Interieur Design.
Philipp Römers, Leiter Exterieur Design; Marc Lichte, Leiter Design; Norbert Weber, Leiter Interieur Design.


„Noch nie waren die Zeiten für mich als Designer so aufregend wie heute. Genau jetzt ist die beste Zeit, Automobildesign neu zu denken, neu zu gestalten – kurz: Autodesign in die Zukunft zu führen“, sagt Audi-Chefdesigner Marc Lichte. Hinter seiner Begeisterung, hinter der puren Emotion verbirgt sich in der Tat eine der größten Umwälzungen in der Geschichte des Automobils.

Neue Technologien verändern die Menschen und die Form ihrer Fortbewegung: die Transformation zur E-Mobilität, das autonome Fahren der nahen Zukunft, die allumfassende Digitalisierung und mit ihr die Vernetzung von Automobil und Welt. All das hat nicht nur große Auswirkungen auf die technische Konstruktion, sondern revolutioniert auch die Formgebung künftiger Audi-Modelle und damit den Prozess der Gestaltung.

Für Audi zählt das Design zum Markenkern – das heißt: Es ist essenzieller Ausdruck und sichtbares Symbol für „Vorsprung durch Technik“. Design ermöglicht eine emotionale Identifikation mit der Marke und ist in der Folge stets ein zentrales Kaufargument.

Permanenter Wandel: Was muss das Design eines Audi leisten?
In der Vergangenheit bestimmte oft der voluminöse Verbrennungsmotor – meist in der Fahrzeugfront positioniert – die Grundproportionen der Karosserie. Und damit auch das ästhetische Ideal der Kunden – seit Jahrzehnten. Die Kabine möglichst flach, im Windkanal geformt. Der Innenraum war funktional und hochwertig – eine Bedienzentrale, nicht selten kompakt und vom Mitteltunnel sowie Bedienelementen parzelliert. Eine Symbiose widerstreitender Parameter: langstreckentauglicher Sitzkomfort versus Querbeschleunigung, Platz für Passagiere versus ausreichenden Gepäckraum, helle Wohnlichkeit versus Multifunktionalität in jedem Winkel.

Das Automobil von morgen: Die viel kompakteren Elektromotoren sitzen nun an den Achsen, die Batterie im Unterbodenbereich, die Fahrzeugkabine in der Mitte wächst in den Dimensionen. Außen, vor allem jedoch innen: Das Automobil fährt künftig voll- oder teilautonom, Lenkrad und Pedalerie sind zumindest zeitweise verzichtbar und können verschwinden.

Vom Smartphone inspirierter Bedienkomfort und Konnektivität gewinnen an Bedeutung, sind längst und vor allem bei jüngeren Kundengruppen relevant für ihre Kaufentscheidung. Daher entwickelt sich das „Car Design“ zunehmend zum „Experience Design“, mit dem Ziel, Erlebnisse für die Nutzerin und den Nutzer zu gestalten. Audi-Chefdesigner Marc Lichte stellt die entscheidenden Fragen: „Welche Anforderungen stellen die User an uns? Möchten sie beispielsweise im Auto arbeiten können, lesen oder schlafen? Für welchen Einsatzzweck legen wir das Auto aus – Langstrecke, Stadt, Freizeit? Wie muss das passende Interieur dafür aussehen?“

Der Innenraum eines künftigen Audi soll also nicht länger nur funktionaler Steuerstand für den Fahrenden sein, sondern individuelle Bedürfnisse widerspiegeln und möglichst nahtlos zahllose Funktionen integrieren. Vielfältige Bedienphilosophien – Sprach- und Gestensteuerung sowie berührungssensitive Oberflächen – ersetzen traditionelle Schalterleisten und Drehräder. Der Innenraum der Zukunft setzt in der Folge bei der Integration von Technologie, Raumangebot und Wohlfühlambiente neue Maßstäbe. Audi will künftig buchstäblich mehr Freiraum bieten, in dem sich die Insassen während der Fahrt entfalten können. Auch und vor allem dann, wenn sie als Fahrer ihres Autos gar nicht mehr gebraucht werden.

Damit wird der Innenraum künftig zum Taktgeber des gesamten Fahrzeugentwurfs. „Sowohl in der Formgebung als auch hinsichtlich des Markenkerns“, sagt Interieurdesign-Chef Norbert Weber: „Die gelungene Synthese aus Architektur, Formensprache und Materialien im Innenraum ist Identitätsmerkmal eines jeden Audi – das soll sich in Zukunft noch verstärken.“

Von der Idee zum finalen Entwurf: Wie läuft der Kreativprozess bei Audi ab?
Die Grundlage für jedes Designprojekt bei Audi ist eine vorgelagerte Konzeptphase – hier stehen die weltweiten Nutzer_innen im Mittelpunkt. Sie ist Basis für eine konsequent auf den Menschen ausgerichtete Designentwicklung und ein Innovationsportfolio. Es geht darum, individuelle Bedürfnisse zu kennen und Anforderungen davon abzuleiten mit dem Ziel, ein nahtloses Gesamterlebnis für Mobilität zu ermöglichen. Auf diese Weise entstehen neue intelligente und ganzheitliche Produkte und Services. Mit diesem Vorwissen entstehen dann die ersten, sehr zielorientierten Designskizzen als Visualisierungen im Projekt.

Den Anfang macht zumeist die einfache Skizze, digital gezeichnet auf dem Grafik-Tablet oder bisweilen auch traditionell mit dem Stift aufs Papier gebracht. Überall und zu jeder Zeit können die Designer_innen damit ihrer Kreativität freien Lauf lassen und ein Gefühl für einzelne Ideen entwickeln. „Die beste Methode ist, sich anschließend untereinander auszutauschen.

Nur wer den Tunnelblick verliert, Ideen skizziert und teilt, wird im weiteren Verlauf besser und kreativer“, sagt Immo Redeker, im Audi Design zuständig für die Interieur-Architektur. Längst sind digitale Werkzeuge in der Zusammenarbeit der verschiedenen Designstandorte das Standard-Repertoire. Ausschlaggebend für den Technologiedurchbruch ist vor allem die deutliche Verbesserung von Datenbrillen, die lange Zeit ein Nischendasein fristeten und nicht ausgereift waren.

Die Konsequenz: War in der Vergangenheit vor allem das Clay-Modell der Fixpunkt für die Teams im Entwurfsdesign und in der Aerodynamik, so verändern digitale Technologien wie Virtual Reality die Zusammenarbeit grundlegend. Im virtuellen Raum kommen die Teams interdisziplinär zusammen – ganz gleich, ob sie in der Technischen Entwicklung in Ingolstadt arbeiten oder anderswo auf der Welt. Jede und jeder ist mit einer VR-Brille und Controller ausgestattet. Verschiedene Konzepte und Versionen lassen sich in puncto Exterieur und Interieur beliebig ändern – und das in Echtzeit. In der analogen Zeit dauerte dieser Prozess oft mehrere Wochen. Dieser Zeitgewinn gibt den Beteiligten wiederum mehr Freiheit, das jeweilige Modell weiter zu perfektionieren. Der Einsatz von 3D-Visualisierungen schafft somit weit ausgefeiltere Entwürfe und damit eine verbesserte Entscheidungsbasis und -sicherheit. Speziell die Interieurdesigner_innen können mithilfe der Technik bereits in der Konzeptphase Proportionen und Raumkonzepte realistisch erleben und sicher bewerten. Deshalb stellt das Design höchste Ansprüche an die Darstellungsqualität. Stimmen die Reflektionen, die Spiegelungen im Lack, der Schattenverlauf der VR mit der Realität überein? Spezielle Rechencluster liefern hochaufgelöste Bildinhalte. Auch dynamische Fahraufnahmen und Fahrsimulationen von Modellentwürfen lassen sich damit berechnen.

24 Stunden Audi Design: Wie arbeiten die Designstudios weltweit zusammen?
Im Audi Design findet die Kooperation interkontinental statt. Dabei steht der kundenzentrierte Ansatz, ein Produkt zu entwickeln, das fasziniert, langlebig ist und Spaß macht, stets an erster Stelle – und ist immer aufs Neue die größte Herausforderung für die Design-Crew von Audi.

450 Designer_innen aus 25 Nationen sind damit beschäftigt, kreative Ideen zu entwickeln. Die Studios des Unternehmens in Ingolstadt, Beijing und Malibu bilden die Keimzellen für die Modelle von morgen. Hier feilen die unterschiedlichen Fachbereiche Hand in Hand an Visionen, Designs und Prototypen. Das Designcenter in Ingolstadt fördert schnelle und integrative Design- und Arbeitsprozesse zwischen Design, Modellbau und Technik. Großdimensionierte LED-Wände und Modellier-Arbeitsflächen mit Fräsmaschinen liegen direkt nebeneinander und ermöglichen den direkten Abgleich zwischen 3D-Modell und dem Referenzmodell.

Dabei leben die Standorte den Wettbewerb: Bevor Ideen in Serie gehen, müssen sie sich erst einmal unternehmensintern im internationalen Wettbewerb behaupten. Standortwechsel über mehrere Monate hinweg sorgen dafür, dass die Kolleg_innen von Audi sich untereinander besser vernetzen und voneinander lernen. Und auch vor Ort erleben, welche spezifischen Bedürfnisse Kunden gerade in den so großen und bedeutenden Märkten China und USA bewegen.

Digitalisierung trifft Handwerkskunst: Wie wird die Idee Wirklichkeit?
Die fertigen digitalen Datensätze aus den Standorten Beijing und Malibu werden direkt ins Designcenter Ingolstadt übermittelt und dort von Fräsmaschinen zu Clay-Modellen in beliebigem Maßstab gefräst. Ein physisches Exponat bleibt also trotz der digitalen Designentwicklung für Audi im Entscheidungsprozess weiterhin unverzichtbar. Die Designer_innen prüfen die Proportionen aus unterschiedlichen Abständen, um ein besseres Gefühl für deren Stimmigkeit zu gewinnen. „Nichts ersetzt das Gefühl, in der Realität vor einem Modell zu stehen. Dann ist der Blickwinkel für das menschliche Auge lebensecht“, sagt Interieurdesign-Chef Weber.

„Outside Bold, Inside Magic“ – Exterieur und Interieur auf Augenhöhe
Stets ist für die leitenden Kreativen bei Audi das Gestalten ein Prozess, der auf Augenhöhe zwischen den beiden Disziplinen stattfindet, auch wenn die Entwicklung künftig von innen nach außen erfolgt: „Wir wollen auf beiden Seiten das Best-of für Audi kreieren“, sagt Exterieurdesign-Leiter Philipp Römers. „Autonomes Fahren mit Level 4 und die daraus resultierenden technischen Möglichkeiten bedingen auch künftig Möglichkeiten, um daraus eine prestigeträchtige Silhouette zu kreieren – mit perfekten Proportionen und besonderer Ästhetik.“




Weitere Informationen zum Thema Lenkung bei Audi finden Sie in unserer Pressemappe.