09.02.2024 Fakten und Zahlen zum Dakar-Sieg von Audi
Audi hat mit seinem ersten Dakar-Sieg weltweite Schlagzeilen erzielt. Die Analysen des Teams Audi Sport offenbaren zusammen mit Hintergrundgeschichten aus dem Biwak manch lesenswerte Einsicht.
Audi feierte bei der Rallye Dakar am 19. Januar 2024 seinen ersten Sieg und Carlos Sainz/Lucas Cruz ihren vierten mit der vierten unterschiedlichen Marke. Audi hat seit 1980 Erfolge wie Siege oder Meisterschaftstitel in der Rallye-Weltmeisterschaft, beim Pikes-Peak-Bergrennen, bei den 24 Stunden von Le Mans, in der American Le Mans Series, der European Le Mans Series und der FIA-Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC, in Tourenwagen-Kategorien wie
der DTM, bei den Supertourenwagen und in der Trans-Am, in der Formel E sowie in den Kundensport-Kategorien GT2, GT3, GT4 und TCR eingefahren. Mit dem Triumph in der Wüste verschwand einer der wenigen verbliebenen weißen Flecken einer weltweiten Erfolgs-Landkarte des Unternehmens im Motorsport.
Das Chassis des siegreichen Audi RS Q e-tron trug die Nummer 110. Audi Sport hat es am 6. Juli 2023 fertiggestellt. Anschließend hat dieser Prototyp den Test in Saragossa, die Baja España Aragón, den Test in Marokko, die Rallye du Maroc sowie einen Test in Château de Lastours absolviert. Bis dahin hatte das Auto bereits 5.880 Kilometer absolviert. Dann
ging es zur Rallye Dakar 2024, wo das Auto weitere 8.054 Kilometer zurücklegte. Damit hat die Nummer 110 bis heute 13.934 Kilometer absolviert.
Dr. Leonardo Pascali verantwortete als Technischer Direktor seit 2023 die Entwicklung des Dakar-Projektes. Der promovierte Ingenieur bringt einen großen Erfahrungsschatz aus der Automobilindustrie und den Rennsport-Disziplinen Formel 1 und Le-Mans-Sportprototypen mit, hat aber nie zuvor im Offroad-Sport gearbeitet. Für ihn ist die Chance, in diesem Projekt zu arbeiten und die Rallye Dakar zu gewinnen, nach eigener
Einschätzung die „beste Berufserfahrung meines Lebens“.
Im Gegensatz dazu sammelte Fahrzeugingenieur Joan Navarro seit 2013 Erfahrung bei Wüstenrallyes, als er beim Team von Sven Quandt begann. Als Renningenieur hat er Nani Roma 2014 zum Sieg bei der Rallye Dakar geführt, im Jahr 2020 erstmals Carlos Sainz und ein Jahr später Stéphane Peterhansel. Sein Stolz auf den vierten Sieg als Ingenieur von Carlos Sainz ist riesig: Joan Navarro hat sein Armband, das allen Teammitgliedern während der Rallye als Zugangsberechtigung diente,
auch zwei Wochen nach der Zielankunft noch nicht abgelegt.
Die Belastungen, denen der Audi RS Q e-tron ausgesetzt war, fielen bei einer besonders herausfordernden Ausgabe der Rallye Dakar teilweise extrem aus. Die härteste Landung nach einem Sprung erzeugte kurzzeitig eine Spitzenbeschleunigung von 16 g in vertikaler Richtung. Sie ereignete sich auf der dritten Etappe. Zum Vergleich: Ein Passagierflugzeug wird so geflogen, dass die Insassen Beschleunigungen von nicht mehr als 1,5 g
ausgesetzt sind. Astronauten erfahren beim Start Beschleunigungen von 3 bis 4 g, bei Achterbahnfahrten können kurzzeitig bis zu 6 g auftreten.
Trotz der hohen Lasten hat Audi verschiedene Schlüsselkomponenten am Siegerauto während der Rallye nicht gewechselt. Die vordere und die hintere Motor-Generator-Einheit (MGU) mit Invertern für den Achsantrieb blieb ebenso unverändert im Chassis wie die Hochvoltbatterie als Herzstück des Antriebs sowie der Kraftstofftank des Energiewandlers. Sogar die Achsschenkel, die extremen Fahrwerkskräften
ausgesetzt waren, hielten die gesamte Distanz durch.
Auf der vierten Etappe am 9. Januar enthielt die offizielle Streckenbeschreibung des Veranstalters den Hinweis „very fast track“ für die Passage zwischen dem 66. und dem 95. Streckenkilometer. Die Ingenieure von Audi lasen am Abend die Daten aus. Sie zeigten, dass der siegreiche Audi RS Q e-tron 260 Sekunden (also 4 Minuten und 20 Sekunden) am Stück die erlaubte Maximalgeschwindigkeit von 170 km/h erreicht hat. Ein
bemerkenswerter Wert auf reinen Geländepisten. Auf einem klassischen Rennsport-Rundkurs sind solche Werte undenkbar. Allein für die Fahrt bei dieser Geschwindigkeit wäre ohne Anlaufweg eine Strecke mit einer geradlinigen Passage von 12,28 Kilometern Länge erforderlich.
Im deutlichen Gegensatz dazu stand die sechste Etappe im „Empty Quarter“. Die gebirgsartigen Dünen senkten den Schnitt dramatisch ab. Auf rund 400 Kilometern Dünenketten erzielten Carlos Sainz und Lucas Cruz lediglich einen Schnitt von rund 40 bis 50 Stundenkilometern. Was nach einem gemütlichen
Innenstadttempo klingt, gleicht in Wahrheit einer Tortur für das hoch belastete elektrische Antriebssystem, die beiden Getriebe, die vier Antriebswellen sowie die Kühlsysteme. Ebenso schnellte der Energieverbrauch auf diesem Terrain in die Höhe.
Wie fehlerfrei und hochwertig die Navigation von Beifahrer Lucas Cruz zu bewerten ist, lässt sich nicht nur in lobenden Worten, sondern auch in Zahlen ausdrücken. Bis zur zweitletzten Etappe absolvierten Carlos Sainz und Lucas Cruz die kürzesten Distanzen aller drei Audi. Ihre Effizienz in
der Wahl der effektivsten Route und die Verringerung der Fehlerquote bei der Navigation war eindrucksvoll. Das Team und insbesondere ihr Renningenieur Joan Navarro beobachtete in den Daten zudem ein geändertes Fahrverhalten seines Piloten: Während sich in diesen Aufzeichnungen bei Sainz früher meist eine Abfolge voller Lasten bei Gas- oder Bremspedal ablesen ließen, modulierte der Spanier diesmal mehr mit den Pedalen und fuhr weniger aggressiv.
Ein Erfolgsgeheimnis auf dem Weg zum Sieg war die ausgeklügelte Strategie von Team und Fahrer.
Audi-Motorsportchef Rolf Michl und Sven Quandt, Teamchef von QMS, hielten nach ausführlichen Etappenanalysen regelmäßig nächtliche Sitzungen zur Rennstrategie ab, die sich voll auszahlten. So war die Entscheidung, auf der fünften Etappe freiwillig fünf Minuten einzubüßen, um die anspruchsvolle sechste Etappe nicht eröffnen zu müssen, durchaus gewagt. Im Vergleich zu allen Konkurrenten zeigte sich allerdings im Nachhinein, dass die Analyse absolut richtig war. Audi belegte nach der sechsten Etappe zum Ruhetag die Plätze eins und zwei und Carlos Sainz/Lucas Cruz gaben die Führung danach nicht mehr ab.
Carlos Sainz las das Terrain so klug, dass er trotz guter Zeiten immer noch eine Sicherheitsmarge ließ. Zwischen der dritten und sechsten Prüfung ließ es der Spanier vorsichtiger angehen, da ihm Ergebnisse unter den besten fünf Plätzen genügten. Als Sébastien Loeb in der zweiten Rallyehälfte Druck auszuüben begann, verringerte Sainz seine Sicherheitsmarge, aber nur so weit, dass keine Unfallgefahr bestand. Im Unterschied dazu beendeten führende Konkurrenten die Rallye nach Unfällen vorzeitig oder handelten sich zeitintensive Schäden ein. Sainz gewann die Rallye Dakar
ohne einen Etappensieg.
Nach dem Sieg enthüllte Carlos Sainz jr., der ein erfolgreicher Formel-1-Fahrer ist, dass er sich mit seinem Vater eng zur Strategie bei der Rallye Dakar beraten hatte. Der Filius riet dem 61 Jahre alten Audi-Werksfahrer, wegen des Langstreckencharakters der Veranstaltung nicht jeden Tag ans Limit zu gehen. Sainz senior, von vielen Fans seit seinen Anfängen in der Rallye-Weltmeisterschaft als „El Matador“ verehrt, ist für seine Angriffslust auf jedem Kilometer berühmt.
Der elektrische Antrieb des Audi RS Q e-tron mit Hochvoltbatterie und einem mit reFuel betriebenen Energiewandler ist extrem effizient. Einen beachtlichen Teil der benötigten Energie gewann der Sieger auf intelligente Weise zurück. Beim Bremsen wandelten die Motor-Generator-Einheiten (MGU) kinetische in elektrische Energie um. Diese Rekuperation deckte während der Rallye im Schnitt 14 Prozent des täglichen benötigten Energiebedarfs ab. Ein Nebeneffekt: Im Vergleich zu
konventionellen Rallyeautos sank der Verschleiß der Bremsscheiben. Das vordere Paar wechselten die Mechaniker nur einmal, das hintere Paar zweimal.
Auf der fast 8.000 Kilometer langen Strecke der Rallye Dakar 2024 nutzten die Gewinner von Audi 54 Reifen sowie einen zusätzlichen Pneu, den ihnen ihre Teamkollegen Mattias Ekström/Emil Bergkvist auf der zehnten Etappe überließen. Insgesamt verbuchten Carlos Sainz/Lucas Cruz auf dem oftmals scharfkantigen Untergrund an ihren 55 Reifen elfmal Schäden, davon sieben Reifenplatzer und
viermal schleichenden Luftverlust. Zudem tauschte das Team zwei beschädigte Felgen aus.
Carlos Sainz und Lucas Cruz hatten auf dem Weg zum Sieg so manches Hindernis zu bewältigen. Dazu zählte zuvorderst die anspruchsvolle Strecke, aber auch kleinere Hürden des Wüstenalltags. Am ersten Tag der Veranstaltung funktionierte die Warmwasseraufbereitung in ihrem Wohnmobil nicht und die beiden Spanier mussten kalt duschen. Bei der 48H-Chrono-Prüfung auf der sechsten Etappe waren alle Teilnehmer gezwungen, ohne ihre Teams in der Wildnis zu
übernachten und sich ihr Essen selbst zuzubereiten. „Einmal war das durchaus ganz okay, aber ein zweites Mal hätte ich das nicht gebraucht“, kommentierte Carlos Sainz ehrlicherweise. Anschließend profitierte er von einer großzügigen Geste unter echten Sportsfreunden: Toyota-Pilot Yazeed Al-Rajhi überließ dem Spanier sein luxuriöses Wohnmobil für die verbleibenden Übernachtungen. Der Fahrer aus Saudi-Arabien war auf der sechsten Etappe nach einem Überschlag ausgefallen, sodass Sainz die Führung übernahm.
Während die regulären Rallye-Tage viel Arbeit für das
gesamte Team bedeuteten, gab es auch zwei Marathon-Etappen mit ungewöhnlicheren Bedingungen. In der ersten dieser beiden speziellen Prüfungen war nur sehr eingeschränkter Service, in der zweiten überhaupt keine Arbeit an den Rennwagen zugelassen. Erwartungsgemäß entstanden für die Mitarbeitenden an diesen Tagen Freiräume. Im Team Audi Sport wusste man sich die Zeit sportlich zu vertreiben: Aus Deutschland hatte das Team einen Tischfußball mitgebracht, der regen Zuspruch fand.
Besondere Grüße in seine spanische Heimat sandte
Carlos Sainz mit der Flagge seines Landes. Im Prüfungsziel am letzten Tag der Rallye trug er das großformatige Tuch als auffälligen Umhang. Als er mit Beifahrer Lucas Cruz anschließend ins Etappenziel fuhr, hatten spanischsprachige Teammitglieder „La Rojigualda“ – so der einheimische Name der Flagge – zwischenzeitlich mit Widmungen und Signaturen personalisiert. Aussagen wie „Estamos muy orgullosos de ti“ brachten den Stolz auf den Erfolg emotional zum Ausdruck.
Carlos Sainz wusste, dass sich seine Ehefrau Reyes mit Tochter Ana für die
Zielankunft der Rallye Dakar angekündigt hatte. Womit er nicht gerechnet hat: Sohn Carlos jr. hatte sich kurzfristig entschlossen, mit Partnerin Rebecca Donaldson ebenfalls nach Yanbu zu reisen. Die Überraschung über die Begegnung war groß und dem stolzen Vater deutlich anzumerken.
Der Technische Direktor Dr. Leonardo Pascali war am 19. Januar gleich doppelt erleichtert und ebenso stolz: Während der Rallye fokussierte sich der Italiener nicht nur auf das Team, sondern auch auf die Fortschritte seines ambitionierten
Sohnes. Am gleichen Tag, als das Team Audi Sport die Rallye Dakar gewann, entschied Antonio Pascali im argentinischen Mar del Plata die Kategorie „Youth Men“ für unter 19-Jährige in den ILCA 6 Youth and Men’s World Championships im Segelsport für sich.